Hodscha Nasreddin

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Der Hodscha Nasreddin ist ein anatolischer Schalk und Volksheld. Er tritt im Mosaik ab 1976 als Begleiter der Abrafaxe auf und gehört in Lothar Drägers Spaßmacher-Konzept, das er den ersten Abenteuern der Abrafaxe unterlegte. Außerdem wirkten einige seiner Schwänke als Inspiration für die MOSAIK-Handlung; so z.B. für den Streich, den die Digedags im Berlin-Kapitel der Erfinder-Serie der Eierfrau am Molkenmarkt spielen.

Den Titel Hodscha tragen islamische Gelehrte oder Lehrer. Der Name Nasr ed-Din bedeutet "Sieg des Glaubens". Andere Namensformen des Schalks sind Nasrettin Hoca und Nasru(d)din. Das arabische Äquivalent zu Nasreddin ist Dschuha.

der Hodscha als Modell von 1975 (sein Esel ist leider verloren gegangen)

Inhaltsverzeichnis

Hodscha Nasreddin im MOSAIK

Hodscha Nasreddins Darstellung im MOSAIK lässt sich in drei Teile gliedern. Erstens gab es eine Reihe von Ankündigungen in Wort und Bild, dass er irgendwann als Begleiter der Abrafaxe erscheinen würde. Dabei ist die Variabilität seines Äußeren beachtlich. Sein eigentlicher Auftritt erfolgte - zweitens - zunächst als junger Mann in einer Erzählung eines orientalischen Märchenerzählers in Heft 4/83. Dieses Heft ist mit seinen der persischen Buchmalerei nachempfundenen ganzseitigen Bildern ein Höhepunkt der Mosaikgeschichte. Erst später, in den Heften 10/83 bis 2/84, hat - drittens - der inzwischen wesentlich ältere Hodscha seinen Hauptauftritt. Während des 1983er Jahrgangs werden im Mosaik dabei Episoden geschildert, die tatsächlich der alten Märchenfigur des Hodsch Nasreddin zugehören (vgl. unten).

Hodscha Nasreddin auf der Rückseite von Heft 229
Der Hodscha als Marionette in Heft 1/76

Die Ankündigungen

Vor seinem eigentlichen Auftritt im Mosaik im Kapitel "Die Jagd nach der Flasche" (auch Hodscha-Nasreddin-Serie genannt) wurde der Hodscha - zusammen mit anderen Spaßmachern - bereits mehrfach erwähnt und abgebildet. Zunächst wurde er im September 1975 in einem Brief der Redaktion Mosaik an die Mosaikleser erwähnt. Entsprechend tauchte er auch auf der Rückseite von Heft 229 auf, der letzten Ausgabe des Mosaik von Hannes Hegen. Einen weiteren vorbereitenden Auftritt hatte er als Marionette in Heft 1/76, wo Harlekin den Handlungsbogen der nächsten Jahrgänge vorstellt.

Danach dauerte es noch mehr als sieben Jahre, bis nach Harlekin und der Commedia dell'Arte, Hans Wurst und Ludas Matyi, Pierrot und der Comédie Italienne, Don Quixote und Sancho Pansa sowie Nasreddins Bruder im Geiste, dem schelmischen Dschuha, auch der Hodscha endlich in natura erscheint.

Hodscha Nasreddin als Märchenfigur

Als junger Mann im Märchen

Nach ihrer Ankunft in einer sarazenischen Hafenstadt treffen die Abrafaxe während eines Basarbummels auf einen Märchenerzähler, der Geschichten vom Hodscha Nasreddin zum besten gibt. Die drei Kobolde lauschen begeistert:

Einst riss der Falke des Fürsten Tumal Garniz das Lieblingshuhn des Hodschas. Der Fürst wollte Nasreddin aber nicht entschädigen, sondern erklärte das Huhn lachend zur Jagdbeute seines Falken, wofür er ja nichts könne. Als sich daher kurze Zeit später ein zerzauster Rabe, den der Hodscha zwei streitenden Lausejungen abgenommen hatte, auf einem weidenden Ochsen des Fürsten niederließ, betrachtete Nasreddin diesen als rechtmäßige Beute; am Abend gab's Ochsenbraten im Dorf.
Der Fürst beschwerte sich bei seinem obersten Gebieter, dem Ilchan, der daraufhin den Hodscha zu sich rufen ließ. Aufgrund seines Ruhmes als kluger Mann erklärte er sich jedoch bereit, auf eine Bestrafung zu verzichten, wenn Nasreddin die Fragen seiner drei weisen Berater beantworten könne.
Die erste Frage bezog sich auf die Zahl der Sterne. Nasreddin antwortete, es seien so viele, wie sein Esel Fellhaare habe. Wer das nicht glaube, möge nachzählen. Der Ilchan lachte und akzeptierte die Lösung. Der zweite Weise wollte wissen, wie viele Barthaare er habe. Nasreddin antwortete, so viele wie sein Eselchen Schwanzhaare. Zur Überprüfung könne man abwechselnd ein Bart- und ein Schwanzhaar ausreißen. Der Weise verzichtete auf die Probe, weshalb der Ilchan auch diese Prüfung für bestanden hielt. Der dritte Weise fragte nach dem Mittelpunkt der Erde. Der Hodscha erklärte, dieser befinde sich zweifellos direkt unter dem Thron des Ilchans. Geschmeichelt stimmte dieser zu.
Damit war die Klage des Fürsten Tumal Garniz abgewiesen und der Hodscha konnte seinen Triumph groß feiern.

Begeistert beschließen die Abrafaxe, diesen Tausendsassa selbst treffen zu wollen. Der Märchenerzähler weiß immerhin, dass sich der Hodscha zuletzt im Osten Anatoliens, also im Norden Mesopotamiens aufhielt. Doch bevor sie dahin aufbrechen können, müssen sich die Abrafaxe erstmal um andere wichtige Dinge kümmern.

Hodscha Nasreddin als Archäologe, Deichgraf und Dorfrichter

Als reifer Mann mit Flausen im Kopf

Der Hodscha lebt inzwischen im Dorf Hille zwischen Euphrat und Tigris. Dort hat er einerseits die verfallenen Bewässerungsanlagen instandgesetzt und verbessert sowie andererseits seine Zeit der Rechtsprechung und dem Studium der Keilschrift gewidmet. Bei allen drei Tätigkeitsfeldern können die Abrafaxe ihm zuschauen.

Der Archäologe

Bei der Lektüre einiger mit Keilschrift beschriebener Tontafeln ist der Hodscha auf das Siegel des Salomo und die Zikkurat des Tukulti-Ninurta gestoßen. Bei eigenen Ausgrabungen konnte er sogar einige Altertümer entdecken, wie zum Beispiel eine goldene Königsmaske, Götter- und Votivstatuen, Fresken und Keramik. Mit weiteren archäologischen Arbeiten in der fraglichen Zikkurat betraut er jedoch - wohl, weil er nicht mehr der Jüngste ist - drei angeblich erfahrene Schatzgräber namens Kanniz, Machniz und Nuzniz. Indem er sich als Nachkomme Tukulti-Ninurtas ausgibt und hinter der goldenen Maske versteckt, kann er ihre Habsucht, nicht aber ihre Ehrfurcht wecken. Immerhin gelingt es den drei Taugenichtsen hin und wieder, ahnungslos einige wichtige Puzzlestücke aufzufinden. So bringen sie dem Hodscha auch einen Stempel vorbei, der tatsächlich das Siegel des Salomo aufweist.

Der Deichgraf

Der Deichgraf erschüttert vor den Scherben seines Werkes

Neben der Altertumswissenschaft lässt der Hodscha aber auch seine Aufgaben als Deichgraf nicht außer acht. Regelmäßig kontrolliert er die Bewässerungsanlagen und besonders ein großes Verteilerbecken, die er nach alten babylonischen Vorbildern hatte errichten lassen. Während eines seiner Prüfgänge werden ihm von drei Jungen aus Hille die diebischen Abrafaxe vorgeführt. Er erkennt ihren Obstklau jedoch als Nießbrauch an und wird hellhörig, als sie ihm den Grund ihrer Ankunft in Mesopotamien nennen: Das Siegel des Salomo!

Er kehrt mit den Abrafaxen in seine Hütte im Dorf zurück und erzählt ihnen von seinen Forschungen. Bald tauchen auch Kanniz, Machniz und Nuzniz wieder auf, diesmal sogar mit einer geheimnisvollen Flasche, die sie im Besitz eines an der Zikkurat verunglückten Fremden gefunden hatten. Die Abrafaxe erkennen sowohl die Flasche, nach der sie die ganze Zeit gesucht hatten, als auch Don Ferrando wieder, der ihnen also offenbar bis hierher gefolgt war. Der Hodscha hingegen meint, dass die Flasche nichts mit der Zikkrat zu tun habe. Das in seinem Keilschriftfragment erwähnte Geheimnis bestehe wohl nur darin, dass Tukulti-Ninurta seine Schatzkammer mit dem Siegel des Salomo, einem alten zauberhaften Symbol, habe verschließen lassen. Die Kammer aber ist seit langer Zeit schon leer.

Den Siegelstempel und die Flasche wollen die Abrafaxe nun an einem sicheren Ort verstecken, bevor sie mit Hilfe des Flaschengeistes wieder ins 16. Jahrhundert zurückkehren können. Der Hodscha empfiehlt den Turm der Winde. Leider belauscht der Don diesen Plan, folgt den Kobolden und ihren Freunden dorthin und bringt beide Gegenstände an sich. bevor er die Flasche jedoch öffnen kann, stürzt der Turm in einem Erdbeben zusammen und begräbt ihn unter sich. Die Abrafaxe folgen dem Hodscha nach Hille, wo sie ihre Hilfe bei der Verletztenpflege anbieten. Mangels Verletzter wird das Angebot dankend ausgeschlagen.

Der Richter

So ein Richter hat's schon schwer.

Stattdessen bittet der Dorfälteste den Hodscha, den lange versprochenen Gerichtstag abzuhalten. Damit ergibt sich die Möglichkeit, Nasreddin bei dem dritten seiner Berufe zuzuschauen. Er schlichtet nacheinander mindestens fünf Streitigkeiten, von denen drei ausführlich vorgestellt werden. Bis auf den letzten Fall, dem sich Nasreddin auf dem Weg zu den Bewässerungsanlagen widmet, findet alles beim Gerichtstag im Dorf statt.

  • Als erstes entscheidet Nasreddin den Streit zweier Frauen um fehlende fünf Pfund Hammelfleisch. Deren Besitzerin beschuldigt den Kater Ibrahim einer Nachbarin, das Fleisch gefressen zu haben. Der Hodscha wiegt Ibrahim, und der Kater bringt genau fünf Pfund auf die Waage. Da der Fleischfraß gerade erst an diesem Tag stattgefunden haben soll, sind Ibrahim und seine Besitzerin daher unschuldig.
  • Danach schlichtet Nasreddin einige kleinere Streitigkeiten.
  • Zum Abschluss des Gerichtstages wendet er sich dem Fall eines Gelddiebstahls zu. Ein Trödler beschuldigt seinen Nachbarn, den Metzger, ihm seine Einnahmen gestohlen zu haben. Der streitet ab; der erfolglose Trödler habe offenbar beobachtet, wie er sein sauer verdientes Geld gezählt habe, und sei auf die Idee gekommen, es ihm mit dem Diebstahlsvorwurf abzunehmen. Nasreddin lässt das fragliche Geld in einen Topf kochenden Wassers kippen - da keine Fettbläschen aufsteigen, kann die Geschichte des Metzgers nicht stimmen, sondern er hat das Geld dem Trödler tatsächlich geklaut.
  • Auf dem Weg zu den Bewässerungsanlagen kommen der Hodscha und die Abrafaxe an einem Acker vorbei, auf dem sich zwei Bauern um einen Topf Geld streiten. Angeblich habe ihn der eine der beiden auf dem Grund und Boden des anderen vergraben, als die Mongolen kamen. Er sei hier sicher, da der Nachbar faul sei. Der Hodscha erkennt jedoch, dass der Besitzer des Ackers offenbar ein fleißiger Kerl ist, und entlarvt den Kläger damit als Lügner. Der Goldtopf gehört dem glücklichen Finder.

Ausklang

Nun kann sich Hodscha Nasreddin endlich um das etwas ramponierte Verteilerbecken kümmern. Dessen Tore waren zersplittert, weshalb die Felder und Haine überschwemmt sind. Während er sich darum kümmert, schippern Abrax und Brabax die überfluteten Bewässerungsgräben ab, um nach weiteren Schäden zu suchen. Dabei treffen sie eine komische Type, die unbedingt zum Hodscha will, da nur dieser helfen könne. Sie bringen den komischen Kerl daher zu Nasreddin. Gemeinsam begibt man sich zu dessen Haus.

Dort berichtet Alex Papatentos seinen vier Zuhörern vom Raub des Schildes des Poros und bittet den Hodscha um Unterstützung. Dieser hat jedoch "keine Zeit für so etwas" und schwatzt dem Griechen die Abrafaxe auf. Hals über Kopf und praktisch grußlos verlassen diese mit ihrem neuen Begleiter den Hodscha Nasreddin, nach dem sie sich so lange gesehnt hatten.

Hintergründe

Dschuha und Nasreddin

Dschuha ist die ältere Figur; von ihm gibt es bereits seit dem 9. Jahrhundert Schwänke in der arabischen Literatur (Näheres dazu im Dschuha-Artikel). Nasreddin-Geschichten hingegen sind erst seit dem Ende des 15. Jahrhunderts belegt. Seit dem 19. Jahrhundert werden beide Figuren miteinander vermischt, so dass sie in den modernen Ausgaben ihrer Schwänke kaum noch auseinanderzuhalten sind. Ihnen gemeinsam ist auch eine zunehmende Verharmlosung - strotzten die ursprünglichen Geschichten noch vor deftiger sexueller, analer und boshafter Motive, sind Dschuha und Nasreddin inzwischen milde und altersweise geworden.

Nasreddin-Geschichten gibt es aus allen Gegenden der Welt, die je mit dem islamischen und/oder türkischen Kulturkreis in Kontakt gekommen sind: Von Spanien bis China, von Mittelasien bis zur Sahara. Auch in christlichen und jüdischen Gemeinschaften sind die Schwänke weitererzählt worden (auf dem Balkan und in Sizilien beispielsweise).

Der Hodscha als historische Gestalt

Es ist nicht unmöglich, allerdings auch nicht zu beweisen, dass es einen Hodscha Nasreddin tatsächlich gegeben hat. Er wird gerne im 13. Jahrhundert angesiedelt, sein angebliches Grab mit dem Todesdatum 1284 kann in Akschehir (bei Konya) besichtigt werden. Seine Wirkungsstätte soll das südliche und östliche Anatolien gewesen sein.

Unabhängig davon steht fest, dass alle Geschichten über ihn (auch die vermeintlich datierbaren, die sich z.B. an Timur Leng binden) fiktiv sind.

Die Geschichten von Hodscha Nasreddin

Mehrere Nasreddin-Geschichten sind im MOSAIK verwendet worden. Aus welcher Quelle Lothar Dräger, der Autor des MOSAIK, genau schöpfte, ist noch nicht bekannt. Zwei mögliche Vorlagen (Wesselski und Solowjow) werden weiter unten diskutiert.

Die folgenden Schwänke sind nach dem Sammelband von Ulrich Marzolph, "Nasreddin Hodscha. 666 wahre Geschichten", zitiert. Dieser vereint Dschuha- und Nasreddin-Geschichten aus den verschiedensten Quellen, so auch aus den Werken von Wesselski und Solowjow. Dabei hat Dräger die ersten drei Geschichten im Kapitel - Die Jagd nach der Flasche des Mosaik ab 1976 tatsächlich für Hodscha Nasreddin genutzt. Damit können von allen oben aufgezählten Streichen oder Urteilen des Hodscha nur für die Geschichten um das fettige Geld und um den hochgepflügten Goldtopf noch keine Quellen angegeben werden.

Die vierte hier zitierte Episode hingegen - eine Dschuha-Geschichte - wurde schon in der Erfinder-Serie des Mosaik von Hannes Hegen rezipiert; dort allerdings übernehmen Dig und Dag die Rolle Dschuhas gegenüber der Eierfrau am Molkenmarkt. Zudem wurde die Geschichte deutlich entschärft (aus bitterer Feindschaft wurde eine Wette).

Der Falke, der Ochse, das Kamel und der Richter

(Marzolph Nr. 222, Wesselski Nr. 262, zwischen 16. und 19. Jhd.)

Eines Tages ging Nasreddin Hodscha mit seinem Schüler auf die Jagd. Er hatte einen Falken auf der Hand, den ließen sie fliegen, und der Vogel setzte sich auf einen Ochsen. Sogleich befestigte der Hodscha ein Seil am Hals des Ochsen, nahm ihn mit zu sich und band ihn dort fest. Als der Eigentümer des Tieres den Ochsen suchte, fand er ihn beim Hodscha und sagte: "Dieser Ochse gehört mir. Warum hast du ihn hier angebunden?" - "Du Dummkopf," entgegnete der Hodscha, "mein Falke hat ihn gebeizt. Jetzt gehört er mir als Jagdbeute."
Zusammen gingen sie vor den Richter und erläuterten ihm die Angelegenheit. Der Richter rief: "Hodscha! Kann denn ein Falke einen Ochsen schlagen?" - "Es ist doch sicher erlaubt, ein Kamel zu jagen", entgegnete der Hodscha. "Und sollte denn zwischen einem Tier und einem anderen mehr Unterschied sein als zwischen ihnen und dir?"

Die drei Mönche

(Marzolph Nr. 364, Wesselski Nr. 70, 19. Jhd.)

zur Zeit des Nasreddin Hodscha lebten drei christliche Mönche, die waren ausgezeichnet in jeder Wissenschaft und zogen durch die Welt. Auf ihrer Reise kamen sie auch in das Reich des Sultans Ala'addin, der sie einlud, den islamischen Glauben anzunehmen. Die drei antworteten: "Wir haben jeder von uns eine Frage. Könnt Ihr sie beantworten, so wollen wir Eurem Glauben beitreten." Und so einigte man sich.
Sogleich versammelte Sultan Ala'addin alle seine Weisen und Ältesten des Reiches, aber von ihnen allen war keiner imstande, die Antworten zu geben. Sultan Ala'addin geriet in Zorn und rief: "Ja, findet sich denn in diesem meinem Reich kein einziger, der ihnen Antwort geben könnte!" Und darüber war er sehr betrübt. Da sagte einer: "Vielleicht kann der Hodscha Nasreddin auf diese Fragen, die sonst niemand zu lösen vermag, Antwort geben." Sogleich erteilte der Herrscher den Befehl, und ein Bote wurde zu Nasreddin gesandt. Der machte sich eilig auf den Weg, traf den Hodscha und richtete ihm den Befehl seines Herrn aus. Zur selben Stunde sattelte Nasreddin seinen Esel, nahm seinen Stab zur Hand, bestieg den Esel, befahl dem Boten, ihm voran zu reiten, und kam geradewegs in den Palast des Sultans Ala'addin.
Er stellte sich dem Herrscher vor und entbot ihm seinen Gruß. Der Herrscher erwiderte den Gruß und forderte ihn auf, sich zu setzen. Der Hodscha setzte sich, wünschte ihm den Segen Gottes und sprach: "Ihr habt mich rufen lassen. Was ist nun Euer Befehl?" Sultan Ala'addin trug sein Anliegen vor, und der Meister wandte sich an die Mönche: "Was habt ihr für Fragen?"
Nun trat der erste Mönch hervor und sagte: "Meine Frage, werter Herr, heißt: Wo ist der Mittelpunkt der Welt?" Der Hodscha stieg von seinem Esel ab, zeigte mit seinem Stab auf den Vorderfuß des Esels und sagte: "Hier, wo der Fuß meines Esels steht, ist der Mittelpunkt der Welt!" Der Mönch fragte: "Woher weißt du das?" Und der Hodscha erwiderte: "Wenn du es nicht glaubst, dann miss es nach! Sollte es nicht stimmen, so teil es uns mit!"
Dann trat der zweite der Mönche hervor und fragte: "Wieviele Sterne befinden sich am Himmel?" Der Hodscha antwortete: "Soviel, wie mein Esel Haare hat, ebenso viele Sterne sind es." - "Woher weißt du das?" - "Wenn du es nicht glaubst, so komm her und zähle es nach! Findest du, dass es nicht stimmt, so teil es uns mit!" Der Mönch warf ein: "Lassen sich denn die Haare auf deinem Esel zählen?" Aber der Hodscha erwiderte nur: "Lassen sich denn die Sterne zählen?"
Nun trat der der dritte der Mönche hervor und sagte: "Wenn du auf meine Frage die Antwort weißt, dann werden wir uns alle drei bekehren lassen!" Nasreddin entgegnete: "Rede und lass mich hören!" - "Nun, Meister," fragte der Mönch. "Wieviele Haare hat mein Bart?" - "Zähl nach", entgegnete der Hodscha. "Es sind genauso viele, wie sich im Schwanz meines Esels befinden." - "Und woher weiß man das?" - "Bei meiner Seele! Wenn du es nicht glaubst, so komm her und zähl nach!" Und als der Mönch mit dem Vorschlag nicht einverstanden war, erklärte der Hodscha: "Wenn du nicht zufrieden bist, so komm her. Dann wollen wir immer ein Haar aus deinem Bart und ein Haar aus dem Schwanz meines Esels herausziehen und sehen, was dabei herauskommt." Da gab der Mönch sich geschlagen und bekannte sich zum islamischen Glauben. Zusammen mit seinen Gefährten bekannte er: "Ich bin gläubig geworden!" So traten auch die beiden anderen mit Herz und Seele dem islamischen Glauben bei, und alle drei waren fortan dem Hodscha ergeben.

Das Gewicht der Katze

(Marzolph Nr. 441, Wesselski Nr. 348, 19./20. Jhd.)

Eines Tages kam Nasreddin Hodscha mit einem ausgesucht schönen Stück Fleisch vom Markt zurück. Er stellte sich schon vor, wie lecker es schmecken würde und konnte sich kaum bis zur Essenszeit gedulden. Er gab es seiner Frau zur Zubereitung, dann ging er in die benachbarte Teestube, rauchte eine Wasserpfeife, trank einen Tee und entspannte sich etwas vor der Mahlzeit.
In der Zwischenzeit hatte seine Frau das Fleisch zerkleinert, die Stückchen auf Spieße gesteckt und alle ihre Freundinnen zu gegrilltem Fleisch eingeladen. Gerade nachdem die Gäste fort waren, kam der Hodscha zurück. Er traute seinen Augen nicht, als er zum Abendbrot nur eine Schale mit Suppe vorgesetzt bekam. "Wo ist das Fleisch?" fragte er, und seine Frau antwortete: "Die Katze hat es gegessen!" - "Aber ich habe doch ein ganzes Kilo Fleisch gekauft!" Gleich ging er hin und nahm die Katze, die eigentlich eine sehr dünne Katze war, nahm eine Waage, wog sie und rief: "Sie wiegt genau ein Kilo! Wenn das also die Katze ist, wo ist dann das Fleisch? Und wenn das das Fleisch ist, wo ist dann die Katze?"

Das Gold im Ei

(Marzolph Nr. 570, Wesselski Nr. 409, 20. Jhd.)

Si Djeh'a war mit einem Eierhändler verfeindet. Eines Tages ging Si Djeh'a zum Markt, wo er seinen Feind traf. Indem er zu ihm ging, sagte er: "Du hast schöne Eier da!" - "Spaß beiseite!" entgegnete der andere. "Wenn du kaufen willst, kauf. Wenn nicht, geh!" Da kaufte Djeh'a zwei Eier, und in jedes der Eier tat er vorsichtig ein Goldstück. Dann sagte er seinem Feind: "Hör einmal zu. Ich möchte jetzt mit dir Frieden schließen, und deshalb werde ich dir einen guten Ratschlag geben." Der Händler entgegnete: "Lass hören, sprich!" - "Verkaufe diese Eier nicht", riet ihm Djeh'a. "Sie enthalten alle ein Goldstück!" - "Verschwinde!" rief der Händler. "Du lügst!" - "Ich soll lügen?" meinte Djeh'a. "Nun gut, dann schau her!" Und damit zerbrach er die zwei Eier, die er gerade gekauft hatte. Der Händler war ganz erstaunt, als er die zwei Goldstücke aus den Eiern kommen sah. Dann steckte Djeh'a das Geld ein und ging nach Hause.
Sogleich fing der Händler an, seine Eier zu zerbrechen, und zerschlug alle ohne Ausnahme. Da er kein weiteres Goldstück fand, schrie er: "Ebenso wie ich alle meine Eier zerbrochen habe, soll Gott die Augen von Si Djeh'a zerbrechen!"

Mögliche Vorlagen

Wesselski

Im Jahre 1911 veröffentlichte der deutsch-tschechische Literaturwissenschaftler Albert Wesselski (+ 1939) die erste umfassende Sammlung von 555 Nasreddin- und Dschuha-Geschichten. Darin zeigte er die Ambivalenz dieser Charaktere auf und kommentierte jede Episode ausführlich.

Diese Ausgabe könnte Lothar Dräger bereits in seiner Jugend vorgelegen haben.

Solowjow

In der DDR war vor allem die Buchfassung Die Schelmenstreiche des Hodscha Nasreddin (russischer Originaltitel: Повесть о Ходже Насреддине) des russischen Schriftsteller Leonid Wassiljewitsch Solowjow verbreitet. Das Buch erschien in mehreren Ausgaben und Auflagen in der Übersetzung von Erna von Baer. Bekannt wurde die von Werner Klemke illustrierte Ausgabe, die 1988 auch im Eichborn-Verlag (Frankfurt am Main) erschien. Solowjow weicht dabei von der Erzählform der Anekdote ab und bringt die bekannten Geschichten in einen Gesamtkontext der Heimkehr des Hodscha Nasreddin in das mittelalterliche Buchara. Neben der sowjetischen Verfilmung von 1943 Nasreddin in Buchara ist in der DDR vor allem die gleichnamige Hörspielfassung von 1979 mit Winfried Glatzeder als Nasreddin und vielen weiteren bekannten Schaupielern, wie z.B. Kurt Böwe, Rolf Hoppe und Rolf Ludwig, bekannt geworden.

Literatur

  • Robert Löffler: Hodscha Nasreddin - ein Kosmopolit unter den Spaßmachern, in: Mosaik Sammelband 24, Berlin 2006, S. VII-VIII
  • Torsten Kühler: Dschuha, der Schelm, in: Mosaik Sammelband 19, Berlin 2005
  • Ulrich Marzolph: Nasreddin Hodscha. 666 wahre Geschichten, C.H. Beck Verlag, München 1996, ISBN 3-406-40445-6
  • Albert Wesselski: Der Hodscha Nasreddin. Türkische, arabische, berberische, maltesische, sizilianische, kalabrische, kroatische, serbische und griechische Märlein und Schwänke, 2 Bände, Weimar 1911
  • Leonid W. Solowjow, Die Schelmenstreiche des Hodscha Nasreddin, Übers. Ena v. Baer, redakt. Bearb. Thomas Reschke, Berlin 1959 u.ö.

Externe Links

Name in ausländischen Mosaikausgaben

  • Ungarn: Naszreddin Hodzsa

Hodscha Nasreddin tritt in folgenden Mosaikheften auf

Mosaik von Hannes Hegen: 229 als Vorschau

Mosaik ab 1976: 1/76 als Marionette, in 3/83 erwähnt,
echte Auftritte in 4/83, 10/83, 11/83, 12/83, 1/84, 2/84
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