Ihr Jungfern, hört die Schreckenskunde

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ging sie eins Tages mittags aus;
ging sie eins Tages mittags aus;
sie hatte bei sich selbst beschlossen,
sie hatte bei sich selbst beschlossen,
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nicht wiederzukehren ins Vaterhaus.
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nicht wiederzukehren ins Elternhaus.
Von Sulza gins sie bis nach Kösen,
Von Sulza gins sie bis nach Kösen,

Version vom 01:33, 23. Apr. 2017

Tod aus Verzweiflung ist ein deutsches Volks- oder Küchenlied. Es ist auch unter den Titeln Verstoßen, Tod auf den Schienen, Sie war ein Mädchen von achtzehn Jahren, Der Zug von Hamburg und Das Lied vom Eisenbahnunglück bekannt. Es wurde mindestens einmal, eventuell auch zweimal fürs MOSAIK verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Anspielungen im MOSAIK

In der Amerika-Serie des Mosaik von Hannes Hegen reisen die Digedags und ihre Begleiter mit der Panamabahn von Panama City nach Aspinwall. Nach einem Überfall auf halber Strecke müssen sie mit dem Gepäckwagen ohne Lokomotive weiterfahren. Pedro, der stärkste Mann der Welt, schiebt den Wagen an und springt auf. Als sich der Wagen auf abschüssiger Strecke dem Ziel nähert, versucht er vergeblich, ihn mit Hilfe der Bremskurbel anzuhalten. Die Stelle wird mit den Worten "Unterdessen drehte Pedro mit gewaltiger Hand an der Bremskurbel" beschrieben. Das erinnert an eine Stelle im Küchenlied: "Der Schaffner hatt' es wohl gesehen, / er bremste mit gewalt'ger Hand." (siehe unten).

In der Reformations-Serie des Mosaik ab 1976 verkündet ein kaiserlicher Bote in Wittenberg den Tod Kaiser Maximilians I. Er beginnt mit den Worten "Ihr Bürger, hört die Schreckenskunde, die sich zutrug an fernem Ort!" Das ist eine Anspielung auf die ersten Zeilen des Küchenlieds: "Ihr Jungfern, hört die Schreckenskunde, / die sich zutrug in uns'rer Stadt" (siehe unten).

Texte

Das Lied ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts belegt, geht aber auf das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zurück. Die Melodie ist die des (russischen) Volkslieds Seht ihr drei Rosse vor dem Wagen. Angeblich soll die aus dem Saaletal stammende Urfassung eine "wahre Geschichte" schildern, nämlich den Freitod einer jungen Frau aus Bergsulza namens Marie S., die sich um 1869 herum mit einem verheirateten Mann einließ, von ihm schwanger wurde und sich bei Schulpforta vor einen Zug warf. Der Urtext soll von einer Bäuerin Schlegel aus Auerstedt stammen. Da aber andere Fassungen des Liedes durchaus andere Orte als Schauplatz nennen, ist diese Ursprungsgeschichte nicht ganz sicher (Joachim Ringelnatz z.B. schildert in seinen Erinnerungen Mein Leben bis zum Kriege, dass eines der Kindermädchen seiner Familie namens Anna das Lied um 1890 herum sang, wobei die Handlung diesmal in Breslau spielt - was wohl darauf hindeutet, das das Mädchen aus Schlesien stammte).

Im Folgenden werden zunächst diverse frühe Fassungen des Küchenliedes nebeneinander gestellt; die eingeklammerten Strophen dürften sogenannte "Wanderstrophen" sein, die aus anderen Liedern hier eingefügt wurden. Daran anschließend steht die Fassung der Gruppe Hackstock von der Schallplatte Wenn die Blümlein draußen zittern (AMIGA 1979).

1901 im Saaleland 1902 in der badischen Pfalz 1906 im Böhmerwald
Zützschendorf Handschuhsheim Kirchardt Deutschhaidl

Hört, Jungfraun, welch' ein Schreckenskunde,
die sich zutrug in unsrer Stadt,
von einem falschen Liebesbunde,
den falsche Lieb gestiftet hat.

Ein Mädchen, noch so jung an Jahren,
verführt durch Männerschmeichelei,
sie hatte bei sich selbst erfahren
und wußte, daß sie Mutter sei.

Den ganzen Tag rang sie die Hände
und sprach: "Ach Gott, verlaß mich nicht!"
Weil ihre eigne Schuld sie kränkte -
sie suchte Ruh und fand sie nicht.

Vom Mutterherzen ganz verstoßen
ging sie eins Tages mittags aus;
sie hatte bei sich selbst beschlossen,
nicht wiederzukehren ins Elternhaus.

Von Sulza gins sie bis nach Kösen,
und bei Schulpforta auf die Bahn,
sie tat ihr Haupt auf Schienen legen,
weil eben der Zug von Naumburg kam.

Die Schaffner hatten's längst gesehen,
sie bremsten mit gewalt'ger Hand,
allein der Zug, der blieb nicht stehen,
ihr Haupt rollt blutrot in den Sand.

Die Schüler von Schulpforta haben,
weil niemand sie gekennet hat,
aus Mitleid sie so schön begraben,
Gott lohne ihre edle Tat.

(Ach Gott vergib ihr ihre Sünden,
dieweil sie die Verzweiflung trieb,
ihr war das Glück nicht mehr beschieden,
ihr wollten Rosen nicht mehr blühn.)

Ein Mädchen schön und jung von Jahren,
verführt von eines Burchen Hand,
allein sie hat schon längst erfahren,
was falsche Liebe stiften kann.











Vom Elternhaus ward sie verstoßen,
das war für sie ein harter Graus.
In ihrem Herzen war's beschlossen,
nie wieder zu kehren ins Elternhaus.

Sie ging von Hamburg bis nach Bremen,
sie faßte sich den harten Plan,
sie wollt' ihr Haupt auf's Schienen legen,
grad' wo der Zug von Hamburg kam.

Die Schaffner hatten's längst gesehen,
sie bremsten ein es mit Gewalt.
Allen der Zug, er blieb nicht stehen,
ihr Haupt rollt blutend in den Sand.

(Blaue Äuglein, blonde Haaren,
die haben mich verrückt gemacht.
Und wer's nicht glaubt, der soll's erfahren,
was falsche Liebe stiften kann.)

Ein Mädchen von den  besten Jahren,
die solche Tat verübet hat,
die kann und muß es jetzt erfahren,
was falsche Lieb' für Folgen hat.

Ihr Herz war gänzlich hingerissen
von eines Burschen Schmeichelei.
Im Stillen tut sie Tränen gießen,
sie fühlte, daß sie Mutter sei.






Vom Mutterherzen ganz verstoßen,
ging sie an Donnerstag Mittag aus,
in ihrem herzen fest entschlossen,
nie wieder zu kehren ins Elternhaus.

Sie ging gerad' nach der Stadt Gesen
wo grad' der Zug von Hamburg kam.
Auf d' Schienen tut sie sich hinlegen,
daß ihre Schand' ein Ende nahm.

Die Schaffner haben dies gesehen,
sie bremsten mit Gewalt heran,
allein der Zug, der blieb nicht stehen,
ihr Haupt rollt blutend in den Sand.

Die Kinder kommen von der Schule.
Weil niemand sie erkennet hat,
begrub man sie ins Tal der Schönen,
Gott lohne ihre edle Tat.

Ein Mädchen noch von jungen Jahren,
die ihre Tat vollführet hat,
sie soll und muß es noch erfahren,
was falsche Lieb' für Folgen hat.

Das Mädchen war ja hingerichtet
durch eines Jünglings Heuchlerei;
ihr Herz, das war ja ganz zerrissen,
sie fühlte, daß sie Mutter sei.






Von ihren Eltern ganz verstoßen.
ging sie des Sonntags einmal aus;
sie hat sich's fest ins Herz geschlossen,
nicht mehr zu kehr'n ins Elternhaus.

Sie ging von Ecken bis nach Bremen,
von dort an ging sie auf der Bahn,
wo sie ihr Haupt auf Schienen legte,
bis daß der Zug von Hamburg kam.

Die Schaffner hatten sie gesehen,
sie bremsten mit gewaltiger Hand;
allein der Zug, der bleibt nicht stehen,
ihr Haupt rollt blutig in den Sand.

Als ihre Eltern dies erfahren
von ihrer Tochter Schmerzenstod,
da rangen beide sich die Hände
und schrien laut: Verzeih' es Gott!

Sie haben ihr die Tür geöffnet
und haben sie verzagt gemacht.
Weil sie des Jünglings Wunsch erfüllet,
hat ihr das bitt're Grab gebracht.


Als Referenztext für's MOSAIK nun die Variante, die der Fassung der Gruppe Hackstock zugrunde liegt. Sie kommt der Erstversion aus dem Saaletal sehr nahe - es wurde lediglich die Wanderstrophe am Ende weggelassen und dafür zwei andere Strophen eingefügt, die von den Studenten und die vom Doktor. Die beiden eingeklammerten Strophen - die vom Sonntag und die vom Doktor - wurden von Hackstock allerdings auf der Schallplattenversion nicht mitgesungen.

DDR 1979
Hackstock

Ihr Jungfern, hört die Schreckenskunde,
die sich zutrug in uns'rer Stadt,
verpflanzet sie von Mund' zu Munde,
was falsche Lieb' für Folgen hat.

Sie war ein Mädchen von achtzehn Jahren,
verführt von Männerschmeichelei.
Sie mußte schon so früh erfahren,
daß sie bald eine Mutter sei.

Die Eltern hatten's auch erfahren,
das Mieder wurd' ihr schon zu klein.
Der Vater riß sie bei den Haaren,
sie sollt' und mußt' verstoßen sein.

(Vom Elternhause ganz verstoßen,
ging sie am Sonntag weit hinaus.
Sie hatt' in ihrem Herz beschlossen,
nie heimzukehr'n ins Elternhaus.)

Sie ging von Sulza bis Bad Kösen,
und bei Schulpforta an der Bahn
tat sie ihr Haupt auf Schienen legen,
bis daß der Zug von Naumburg kam.

Der Schaffner hatt' es wohl gesehen,
er bremste mit gewalt'ger Hand.
Jedoch der Zug kam nicht zum Stehen,
ihr junges Blut floß in den Sand.

Dem Zug entstiegen drei Studenten,
der eine bleich von Angesicht.
Und als er dann die Leich' erblickte,
da sprach er: "Nein, das wollt' ich nicht!"

(Vom Doktor ward sie nun besehen,
man einen Knaben bei ihr fand.
Jedoch der Knab' war nicht vollendet,
dem Knaben fehlt' die rechte Hand.)

Die Schüler aus Schulpforta kamen
und nahmen sich der Leiche an.
Sie taten sie so schön begraben,
weil sie's aus Liebe hat getan.

Quellen

Auf das Küchenlied vom Tod aus Verzweiflung wird in folgenden Mosaikheften angespielt

Mosaik von Hannes Hegen: 202

Mosaik ab 1976: 497
Persönliche Werkzeuge